Bei Nacht und Nebel zur Kapitulation


 

Die Ereignisse am Vorabend der Kapitulation

 

Es ist der 21. März 1945, vielen Hamburgern noch im Nachhinein einen Schauer über den Rücken jagen dürfte. Bei Gauleiter Karl Kaufmann trifft ein Befehl des unter dem Einfluss von Heinrich Himmler stehenden Führungsstabes Nordküste ein. Zwei Tage vorher hatte Adolf Hitler seinen berüchtigten Nero-Befehl erteilt. Jetzt wissen auch die Hamburger, was dieser für die Hansestadt bedeutet.

Der Erlass ordnet „für alle deutschen Gebiete für den Fall, dass sie in Feindeshand zu fallen drohten, ganz allgemein und also auch für Hamburg Totalzerstörungen an“, schreibt Kurt Detlev Möller in seinem 1947 erscheinenden Buch „Das letzte Kapitel“. Mit anderen Worten: Hamburg wird damit zur Festung erklärt, die bis auf den letzten Mann verteidigt werden soll.

 

Die militärische Situation in den letzten Wochen des Krieges:

Die Stoßrichtung der alliierten Armeen

 

Angesichts der immer näher rückenden Truppen der Alliierten und der sich abzeichnenden militärischen Niederlage wollen die führenden Nationalsozialisten verhindern, dass Städte kampflos übergeben werden. Für alle in Hamburg, die nicht bereit sind, auch das Letzte zu opfern, wird mit dem Nero-Befehl die Aufnahme von Kapitulationsverhandlungen zu einer lebensbedrohlichen Aufgabe.

Gauleiter Karl Kaufmann

Gauleiter Karl Kaufmann

Kampfkommandant Alwin Wolz

Kampfkommandant Alwin Wolz

Geführt wird Hamburg zu diesem Zeitpunkt von Gauleiter Karl Kaufmann und – seit seiner Einsetzung Anfang April 1945 – Kampfkommandant Alwin Wolz. Kaufmann bestand gegen den Wunsch des Oberkommandos der Wehrmacht darauf, dass Wolz ernannt wird, weil beide sich von früher her kennen. Kaufmann hofft, dass auch Wolz nicht bis zum bitteren Ende wird kämpfen wollen.

Kaufmann ist überzeugter Nationalsozialist und mit selbst im nationalsozialistischen Deutschland ungewöhnlicher Machtfülle ausgestattet, die er auch zur persönlichen Bereicherung nutzte. Seit den schweren englischen Bombenangriffen im Juli und August 1943 – bei der Operation Gomorrha wurde gut die Hälfte der Stadt zerstört – betrieb Kaufmann aber offenbar persönliche Schadensbegrenzung für die Zeit nach dem Krieg.

So scheint ihm bereits im Frühjahr 1945 die Aussichtslosigkeit des Kampfes der deutschen Armee klar zu sein. Als Kaufmann sich am 26. März 1945 im Hause Wedell in der Neuen Rabenstraße mit Reichsstatthaltern der Nachbargaue und führenden Militärs trifft, wird zum ersten Mal über das Thema „Verteidigung Hamburgs“ gesprochen. Die Runde erkennt, dass im Falle einer Verteidigung die Bewohner Hamburgs nicht evakuiert werden können: es fehlen schlicht die Transportmittel.

Wenige Tage später, am 31. März 1945, wird bei einem Treffen von Kaufmann, dem Präses der Gauwirtschaftskammer, Joachim de la Camb, und Staatssekretär Ahrens, offen darüber gesprochen, dass wegen der aussichtslosen militärischen Lage Deutschlands eine Verteidigung Hamburgs sinnlos geworden ist. Im Oberkommando der Wehrmacht sieht man das aus militärstrategischen Gründen jedoch anders.

Großadmiral Karl Dönitz, der nach dem Tod Hitlers zu dessen Nachfolger als Reichspräsident und als Oberbefehlshaber der Wehrmacht bestellt wird, will so lange wie möglich einen Korridor zwischen Elbe und Ostsee offenhalten, damit vor der russischen Armee flüchtende Zivilisten und Armeeangehörige in den Nordwesten Deutschlands gelangen können. Daher liegt ihm viel daran, dass die Hamburg verteidigt wird.

Telegramm von Heinrich Riensberg an die Engländer vom 28. April 1945

Telegramm von Heinrich Riensberg an die Engländer vom 28. April 1945

In den letzten Märztagen reist zudem der in Schweden lebende deutsche Schiffahrtssachverständige Heinrich Riensberg von Stockholm nach Hamburg, spricht in der Hansestadt mit deutschen militärischen Kreisen und erstellt anschließend eine Denkschrift, die über Stockholm zum britischen Außenministerium gelangt. Riensberg schlägt unter anderem vor: keine Luftangriffe auf zivile Ziele und keine Frontalangriffe auf große Städte. Zudem sollen die englischen Truppen möglichst rasch die Elbe überqueren und bis an die Ostseeküste vordringen.

Am 3. April 1945 reist Karl Kaufmann nach Berlin, um – nach seinen eigenen Worten – im Führerbunker bei Hitler vorzufühlen, ob eine kampflose Übergabe Hamburgs als „offene Stadt“ möglich ist. Doch Hitler sagt, Hamburg sei zur Festung erklärt worden und daher unbedingt zu verteidigen. Nach Kaufmanns Angaben soll die Unterredung sehr frostig gewesen sein.

Wenig später nehmen Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel, Reichsführer SS Heinrich Himmler und Martin Bormann die Kampfkommandanten persönlich in die Pflicht. „Für die Befolgung dieses Befehls sind die in jeder Stadt ernannten Kampfkommandanten persönlich verantwortlich“, heißt es in einem Aufruf. Handelten sie dieser „soldatischen Pflicht und Aufgabe zuwider, so werden sie … zum Tode verurteilt“.

Am 15. April 1945 befreien englische Truppen das Konzentrationslager Bergen-Belsen und sind damit nur noch 70 Kilometer von Hamburg entfernt.

 

Bildergalerie über das Grauen von Bergen-Belsen

In Hamburg leben zu diesem Zeitpunkt ungefähr 1,1 Millionen Menschen, darunter viele Flüchtlinge. Am 16. April macht Gauleiter Karl Kaufmann vor 40 Generalkommissaren der Verwaltung und engeren Mitarbeitern deutlich, dass er nicht bereit sei, Hamburg zu verteidigen.

Durchhaltebefehl von Kaufmann

Durchhaltebefehl von Kaufmann

Kaufmann und Wolz laufen Gefahr, von fanatischen Nationalsozialisten abgesetzt oder getötet zu werden. Beide legen sich eine Leibwache zu und tragen zum persönlichen Schutz ständig eine geladene Waffe bei sich. Wolz lässt zudem seinen Befehlsstand, der zwischen Harvestehuder Weg, Mittelweg, Milchstraße und Alsterchaussee liegt, mit Hilfe von ihm ergebenen Truppen absperren. Es dürfen nur Inhaber spezieller Ausweise auf das Gelände. Allerdings hält das Kaufmann nicht davon ab, sich mit  Durchhalteparolen an die Hamburgerinnen und Hamburger zu wenden.

Später wird Wolz seinen unmittelbaren Befehlsstand durch einen weiteren Sicherheitsring sichern lassen sowie fanatische SS-Angehörige und ehemalige U-Bootleute südlich vor Hamburgs gegen die herannahenden britischen Truppen einsetzen. Sein Ziel: er will die hochmotivierten Anhänger des NS-Regimes vom Hamburger Stadtzentrum fern halten. Doch Ende April 1945 drängt die Zeit immer mehr. Wenn nicht bald etwas zur Kapitulation unternommen wird, ist es zu spät.

 

Der 28. April 1945

 

Am 28. April 1945 erhält der international anerkannte Völkerrechtler und Universitätsprofessor Rudolf von Laun am Nachmittag überraschend Besuch. An der Wohnungstür steht der Kinderarzt Prof. Hermann Burchard, der zu diesem Zeitpunkt im Bereich Harburg als Divisionsarzt eingesetzt ist. Burchard ist in delikater Mission unterwegs: er bittet den Völkerrechtler um Rat über die Rechte und Pflichten eines Parlamentärs.

Direktor der Phönix-Werke Albert Schäfer

Direktor der Phönix-Werke Albert Schäfer

Burchard ist mit dem Chef der Harburger Phönix-Gummiwerke, Albert Schäfer, uneins. In den Kellern der Werke hat man in Ermangelung anderer räumlicher Möglichkeiten ein Feldlazarett untergebracht. Angesichts von Artilleriebeschuss durch die Engländer, die inzwischen die südliche Stadtgrenze von Hamburg erreicht haben, sind Schäfer und Burchard unterschiedlicher Meinung darüber, ob auf dem Dach ein rotes Kreuz angebracht werden darf. Schließlich wird in der Werkhallen noch produziert; sie gelten also als Kriegsobjekt.

Otto von Laun, der Sohn des Völkerrechtlers ist an diesem Nachmittag zufällig zu Besuch bei seinen Eltern. „Ich hörte, dass Prof. Burchard die Absicht hatte, als Parlamentär zu den Engländern zu gehen und darum zu bitten, es möge nicht mehr mit Artillerie in den Hof der Phoenix-Fabrik geschossen werden“, schreibt von Laun später in seinen Erinnerungen. „Es waren dort bereits einige Granaten niedergegangen, vielleicht sieben, und hatten an sich nur geringfügigen Schaden angerichtet.“ Weitere Granattreffer könnten aber jederzeit die Decke der Kellers durchschlagen und das Lazarett treffen. Burchard macht sich Hoffnungen, dass die Engländer einwilligen könnten, weil englische Kriegsgefangene in dem Lazarett untergebracht sind.

Quelle: Imperial War Museum © IWM (BU 4166) Link: http://www.iwm.org.uk/collections/item/object/2143);

Die Briten sind im Frühjahr 1945 auf ihrem Vormarsch auf Hamburg nicht mehr aufzuhalten. © IWM (BU 4166)

Otto von Laun ist Leutnant und spricht fließend englisch. Erst einige Tage zuvor war er zum Kampfkommandanten Hamburgs, Generalmajor Alwin Wolz, versetzt worden. „Ich habe mich sofort Herrn Professor Burchard zur Verfügung gestellt und mich erboten, ihn freiwillig als Dolmetscher zu begleiten. Burchard nimmt das Angebot des jungen Offiziers an, zum einen, weil er nicht über die erforderlichen Sprachkenntnisse verfügt, zum anderen, das soll später noch wichtig werden, weil er Zivilist und, wie von Laun schreibt „in den eigentlichen Kriegsdingen naturgemäß nicht erfahren war“.

Bevor die Mission jedoch starten kann, muss Kampfkommandant Wolz der Teilnahme von Launs noch zustimmen. General Wolz lässt sich sofort für diesen Plan gewinnen und erteilt den Auftrag, über das Lazarett in den Phoenix-Werken mit den Engländern zu verhandeln. Er lässt noch am selben Tag Ausweise ausstellen auf denen es heißt: „Leutnant Otto von Laun, ausgewiesen durch Soldbuch, ist Mitglied der Parlamentärkommission, die im Auftrag des Kampfkommandanten von Hamburg wegen des Ortslazarettes Harburg verhandeln soll.“

 

Der 29. April 1945

 

Es ist früher Sonntagmorgen, der 29. April 1945, als Hermann Burchard und Otto von Laun vor dem Stab des Kampfkommandanten an der Rothenbaumchaussee in einen Militärkraftwagen steigen. „Der Wagen musste zunächst durch Harburg fahren“, erinnerte von Laun sich später. „Ich war erstaunt, als er vor den Phoenix-Werken hielt und Herr Schäfer zustieg.“ Albert Schäfer soll den Engländern vor allem bestätigen, dass in den Phoenix-Werken keine kriegswichtigen Güter mehr hergestellt werden.

 

Bericht von Albert Schäfer über die Kapitulationsverhandlungen

 

Nachdem Schäfer zugestiegen ist, fahren die drei Männer auf die Hamburger Südfront zu. Sie wollen sie bei Appelbüttel im Abschnitt der SS-Kampfgruppe „Panzerteufel“ überqueren, müssen sich also beim dortigen Kommandeur melden. „Dieser war ein höherer SS-Führer“, berichtet von Laun. „Er war ziemlich kurz angebunden, und man merkte ihm an, dass er nicht gerade ein Befürworter dieser Aktion war.“

Nachdem der Kommandeur den drei Parlamentären zugesichert hat, die Bremer Chaussee sei bis über das Niemandsland hinaus nicht vermint, marschieren sie los. Von Laun trägt die weiße Fahne – ein an einen Stock angebrachtes weißes Bettlaken. „Wir verließen die eigene Front und gingen etwa auf der Höhe von Lürade 1,5 bis zwei Kilometer entlang der heutigen B75 durch das Niemandsland auf die englische Front zu.“

Als die drei Männer etwa in der Mitte sind, werden sie von der englischen Seite aus beschossen. „Wir haben uns darauf beeilt und gerieten in die Nähe eines Gehöfts. Aus den Büschen stürmten hier plötzlich englische Soldaten heraus und umringten uns.“ Von Laun ruft in den Tumult, man käme als Parlamentäre und wolle verhandeln. Doch die Engländer trauen ihnen nicht, da in der vergangenen Nacht die SS ein Spähtrupp-Unternehmen durchgeführt und dabei die weiße Fahne missbraucht hatte.

A Churchill tank of 6th Guards Tank Brigade crossing a pontoon bridge over the Elbe, 30 April 1945. © IWM (BU 4895)

Am 29. April 1945 hatten die Briten bei Lauenburg die Elbe überquert und rückten von Osten auf Hamburg vor. © IWM (BU 4895)

Doch nach dem anfänglichen Durcheinander beruhigt sich die Lage. Den drei Parlamentären werden die Augen verbunden. Dann müssen sie auf einem Lastkraftwagen aufsitzen. Es geht in den folgenden Stunden etwas chaotisch zu, da bei den Engländern niemand so recht weiß, wie man auf die drei Männer reagieren soll. Von Laun berichtet später, dass sie zunächst zu der 5th Queen’s-Komapnie an die westliche Grenze von Tötensen gebracht wurden.

Nachdem den drei Männern dort die Augenbinden abgenommen worden sind, sollen sie einzeln verhört werden. Als Burchard den dafür vorgesehenen Raum betritt, begrüßt er den englischen Offizier mit dem „Deutschen Gruß“ und wird  umgehend wieder hinausgeworfen. Als nächstes ist Otto von Laun an der Reihe. „Da ich wusste, was gespielt wurde, habe ich ohne Gruß, nur durch stramme Haltung und leichtes Kopfnicken meine Reverenz erwiesen.“

Die Bitte, mit dem Beschießen des Harburger Lazaretts aufzuhören, wird zunächst mit der Begründung abgelehnt, die Deutschen hätten schließlich auch keine Nachsicht gezeigt. Von Laun überreicht daraufhin dem englischen Offizier an die Eltern geschriebene Briefe von drei englischen Kriegsgefangenen, die in dem Lazarett liegen. „Das hat ihn schließlich dazu bewogen, unsere Bestrebungen als menschlich anzuerkennen.“

Anschließend werden den drei Parlamentären wieder die Augen verbunden. „Wir wurden hin- und hergefahren, stundenlang“, berichtet von Laun. „Vermutlich wusste man noch nicht, was man mit uns eigentlich tun sollte, man wollte wohl Zeit gewinnen – die Entfernungen zwischen den Stäben betrugen ja nur wenige Kilometer.“ Von Laun gewinnt der Eindruck, „dass wir zwei oder drei Mal durch dieselben Ortschaften fuhren.“

 

Bericht von Alwin Wolz über die Kapitulationsverhandlungen

 

Es ist schon Abend, als den drei Parlamentäre endlich die Augenbinden abgenommen werden. Da sie zuvor in ein Haus „in das rechte obere Eckzimmer“ – geschafft werden, wissen sie nicht, wo sie genau sind. Die Engländer behandeln die Parlamentäre korrekt, man gibt ihnen zu trinken, zu essen und zu rauchen. Burchard erinnert sich an das Gasthaus „Hoheluft“, das unweit von Meilsen an der heutigen B75 liegt, als er auf dem Unterboden eines Tellers dessen Namen liest.

Ihr Gesprächspartner ist Hauptmann P. Martin Lindsay. Er arbeitete vor dem Krieg an der Universität Oxford als Musikprofessor und spricht fließend deutsch. Die Engländer zieren sich zunächst, den Artilleriebeschuss der Phönix-Werke einzustellen. Doch als Burchard berichtet, in dem Lazarett lägen auch englische Kriegsgefangene und zum Beweis einen Brief überreicht, sagen die Engländer zu, umgehend mit dem Beschuss aufzuhören.

A Bren gunner watches for enemy movement on the banks of the Elbe River, at Hoopte near Winsen, 20 April 1945. © IWM (BU 4127)

Ende April hatten die Briten die Elbe an vielen Stellen – das Bild zeigt zwei Soldaten bei Hoopte unweit von Winsen – erreicht. © IWM (BU 4127)

„Die Verhandlungen gingen bei uns so vonstatten, wie es diplomatisch üblich ist: der Stabsarzt hatte unseren Wunsch in Deutsch vorgetragen, ich hatte ihn ins Englische übersetzt, habe also englisch mit den Engländern verhandelt. Hauptman Lindsay hat deutsch geantwortet.“

Albert Schäfer bestätigt während der Verhandlungen, „dass in den Phoenix-Werken keine Kriegsproduktion mehr stattfinde“, schreibt von Laun. „Er hatte Karten mitgebracht, das Lazarett wurde eingezeichnet.“ Allerdings machen die Engländer zu Gegenbedingung, dass zwei deutsche Flak-Türme, die zum Schutz der Elbbrücken aufgestellt worden waren, weggenommen würden. „Wir akzeptierten jedenfalls diese Bedingung, und damit war unser Auftrag eigentlich erledigt“, schreibt von Laun.

Doch die Engländer haben noch etwas vor und tischen den drei Deutschen erneut Essen und Getränke auf. Während dieses Beisammenseins führt Hauptmann Lindsay mit jedem der drei Parlamentäre ein Gespräch unter vier Augen. Er will herausfinden, ob auf deutscher Seite die Bereitschaft zur Kapitulation besteht.

Unbemerkt von den anderen hatte Hauptmann Lindsay von Laun beiseite genommen. „Er habe aus meinem Ausweis und meinem Soldbuch ersehen, dass ich zum Stabe des Kampfkommandanten von Hamburg gehöre“, schreibt von Laun. Lindsay habe die Frage erörtern wollen, ob ein weiteres Blutvergießen im Kampf um Hamburg sinnvoll sei. Sowohl von Laun als auch Burchard lehnen es jedoch ab, dem Kampfkommandanten Wolz eine Kapitulationsaufforderung der Engländer zu überbringen.

Zum einen glauben sie, dass Wolz nicht zu einer Kapitulation bereit ist. Zum anderen halten sie ein derartiges Ansinnen nicht mit ihrem eigentlich Auftrag vereinbar. Von Laun schlägt aber vor, ein „zu einer Kapitulationsverhandlung bevollmächtigter britischer Offizier“ könne ja dem Kampfkommandanten Wolz die Kapitulationsaufforderung überbringen. „Ich bot an, mich dafür zu verbürgen, dass der britische Offizier wieder gesund zu seiner Truppe zurückkomme.“ Doch Hauptmann Lindsay lehnt nach Rücksprache mit General Lyne diesen Vorschlag ab.

Mehr Glück hat Lindsay bei Schäfer, dem Zivilisten unter den drei Parlamentären, dieser weiß um die Bereitschaft von Gauleiter Kaufmann, Hamburg nicht um jeden Preis verteidigen zu wollen. Schäfer gibt zu erkennen, „dass der Gauleiter Kaufmann auf einer kürzlichen vertraulichen Sitzung seine Absicht bekundet hatte, nichts gegen die Interessen der Bevölkerung Hamburgs zu tun. Herr Schäfer war also darüber unterrichtet, dass Kaufmann nicht ernstlich verteidigen wollte, und hat dies dem britischen Hauptmann offenbart.“

Lindsay wiederum hält Schäfer die militärische Lage Hamburgs und das Schicksal Bremens vor. Die Stadt an der Weser hatte nicht kapituliert und war von den englischen Truppen erobert worden – unter Inkaufnahme schwerer Zerstörungen und vieler ziviler Opfer. Der Engländer macht in dem Gespräch auch deutlich, dass man Hamburg nicht Straße für Straße befreien, sondern „durch alliierte Bomberflotten endgültig dem Erdboden“ gleichmachen werde, wie Uwe Bahnsen und Kerstin von Stürmer in ihrem Buch „Die Stadt, die leben wollte“, berichten.

Schäfer erklärt sich bereit, zwei an den Kampfkommandant Wolz gerichtete Schreiben zu überbringen. Als er zu von Laun und Burchard zurückgebracht wird, gibt es Streit. Burchard wirft Schäfer vor, den eng begrenzten Verhandlungsauftrag der Parlamentäre weit überschritten zu haben. Doch die Situation beruhigt sich wieder. Die drei Männer werden mit Essen, Getränken und Zigaretten versorgt, dürfen aber noch nicht nach Hamburg zurückkehren. Ihnen seien die Augenbinden zu spät umgebunden worden, begründet Lindsay die Maßnahmen.

 

Der 30. April 1945

 

Am Morgen des 30. April 1945 erfahren die drei Parlamentäre, dass vorerst nur Werksdirektor Schäfer in die Hansestadt zurückkehren könne. In einem Vier-Augen-Gespräch erklärt Hauptmann Lindsay, „dass während der Nacht Verhandlungen mit dem britischen Hauptquartier stattgefunden hätten und dass er einen Brief habe, den er mir anvertrauen wolle und den ich mit Sicherheit dem Kampfkommandanten, Herrn General Wolz, überbringen müsse“, berichtete Schäfer später. „Es war die formelle Aufforderung zu kampflosen Übergabe der Hansestadt.“

0001_Kapitulationsaufforderung_Lyne

Die Kapitulationsaufforderung von General Lyne

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Schreiben,, das die Einstellung der Angriffe auf das Lazarett bestätigt.

Lindsay gibt daraufhin Schäfer die beiden an Kampfkommandant Wolz gerichteten Schreiben mit. In dem einen Schreiben berichtet Lindsay über die Verhandlungen. So wird darin mitgeteilt, an welcher Stelle der Frontlinie bei Meckelfeld für 48 Stunden die Waffen schweigen sollen, damit dort in Ruhe Kapitulationsverhandlungen geführt werden könnten. Das andere Schreiben ist die von General Lyne unterschriebene schriftliche Aufforderung zur Kapitulation. Schäfer versteckt beide Schreiben in seinem Schuh, aus Sorge, überzeugte Nazianhänger könnten ihn aufhalten und untersuchen.

Während Leutnant von Laun und Divisionsarzt Burchard von den Engländern weiter festgehalten werden, bringt Hauptmann Lindsay Albert Schäfer, dem vorher erneut die Augen verbunden werden, gegen acht Uhr selbst an die Kampflinie bei Appelbüttel. Zuvor habe Lindsay ihm noch erklärt, die britische Militärregierung sei zu jedem Moment bereit, in Kapitulationsverhandlungen einzutreten, berichtet Schäfer später. „Dann wünschte er mir Glück zu dieser Friedensmission, schenkte sich und mir ein Glas Whisky ein, welches wir dann auf baldiges Gelingen der Kapitulationsverhandlungen leerten.“

0002_Briefumschlag_01_Schreiben_Lyne

Der Briefumschlag, in dem die Kapitulationsaufforderung transportiert wurde.

Schäfer, der auf der deutschen Seite der Front von einem Posten empfangen wird, erreicht schließlich 14.30 Uhr den Befehlsstand der deutschen Truppen in Harburg. Von dort aus fährt er sofort weiter zur Kampfkommandantur in die Rothenbaumchaussee. Schäfer ist zu diesem Zeitpunkt unsicher, wie Kampfkommandant Alwin Wolz auf die Kapitulationsaufforderung der Engländer reagieren würde.  Auch Schäfer ist durchaus bewusst, dass der eigentliche Auftrag lediglich dem Harburg Lazarett gegolten hatte.

„General Wolz saß mit seinem Stab in einer Besprechung, als ich ihm gemeldet wurde“, berichtet Schäfer später. „Er empfing mich sofort und öffnete in meiner Gegenwart den Brief, dessen Inhalt ich selbstverständlich nicht kannte. Es ging ein befriedigtes Lächeln über seine Züge. Er sagte in seiner süddeutschen Mundart: ‚Das können die Herren Engländer bald haben‘ und entließ mich mit einem freundlichen Händedruck.“

Dann informiert Wolz Gauleiter Kaufmann. Der wiederum wendet sich mit einem Fernschreiben an

Großadmiral Karl Dönitz

Großadmiral Karl Dönitz

Großadmiral Dönitz, Generalfeldmarschall Busch und dem Reichsführer-SS Himmler, in dem er – wenn auch verklausuliert – auf die Sinnlosigkeit einer weiteren Verteidigung Hamburgs hinweist: „Der Kampf im hiesigen Raum wird seitens der Wehrmacht nach dem Grundsatz geführt, Stadt um Stadt und Dort um Dorf zu verteidigen. … Unter Hinweis auf den OKW-Bericht vom 28. April (haben unsere Truppen an der Elbe den Amerikanern den Rücken gekehrt, um von außer her im Angriff die Verteidiger von Berlin zu entlasten) wäre ich ihnen dankbar, wenn Sie mich wissen ließen, ob die militärische Führung beabsichtigt, Städte und Ortschaften gegenüber dem Westgegner unter allen Umständen weiter zu verteidigen.“

Doch Dönitz bleibt hart und fordert in seinem Antwortfernschreiben: „Es wird militärisch alles nur Mögliche getan, den russischen Vormarsch im Mecklenburger Raum abzustoppen — um den Abfluss der deutschen Menschen zu ermöglichen. Dieser Abfluss … ist nur möglich, so lange ein Tor nach Westen offen bleibt. … Es ist daher unumgänglich notwendig, die Elbe-Stellung mit äußerster Zähigkeit gegen den Westen zu verteidigen. Wo durch diese Kampfaufgabe Sachwerte zerstört werden, wäre dies durch die Rettung deutschen Blutes im Osten tausendfach gerechtfertigt. Eine darüber hinaus gehende Zerstörung von Häfen und Industrieanlagen ist nicht beabsichtigt und muss unter allen Umständen verhindert werden.“

Schreiben von Kaufmann an Dönitz

Schreiben von Hamburgs Gauleiter Kaufmann an Großadmiral Dönitz

Befehl von Dönitz zur Verteidigung Hamburgs - Seite 1

Befehl von Großadmiral Dönitz zur Verteidigung Hamburgs – Seite eins

Befehl von Dönitz zur Verteidigung Hamburgs - Seite 2

Befehl von Dönitz zur Verteidigung Hamburgs – Seite 2

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

In Berlin überschlagen sich unterdessen die Ereignisse. Adolf Hitler nimmt sich das Leben. Zuvor setzt er Dönitz als seinen Nachfolger ein.

 

Der 1. Mai 1945

 

Hauptmann Lindsay geleitet am frühen Morgen des 1. Mai 1945 Leutnant von Laun und Stabsarzt Burchard zum vordersten britischen Posten und wünscht ihnen Glück für ihre Mission. „Er gab mir mit einer Entschuldigung meine Pistole zurück und nahm uns die Binden von den Augen“, berichtet von Laun später. „Die weiße Fahne hatte Herr Schäfer mitnehmen müssen, weil er als Zivilist allein die Front durchquert hatte und sonst leicht hätte in Spionageverdacht geraten können.“

Rundfunkansprache von Kaufman

Rundfunkansprache von Kaufman

Die beiden Parlamentäre erreichen wenig später die deutschen Linien. Als ein SS-Soldat sie empfängt, geschieht etwas Unerwartetes. „In diesem Augenblick erzitterte die Luft von Detonationen, ich warf mich  zu Boden, wurde von Erdbrocken getroffen und stand, nachdem es wieder ruhig geworden war, auf.“ Stabsarzt Burchard war an einen Draht geraten, der eine siebenfache Tellermine auslöste. „Der Luftdruck schleuderte ihn gut zehn Meter weit. Ich fand den Stabsarzt fast unverletzt im Graben“, berichtet von Laun.

Während die beiden Parlamentäre auf dem Rückweg sind, führt Gauleiter Kaufmann ein vertrauliches Gespräch mit Bürgermeister a.D., Wilhelm Amsinck Burchard-Motz, dem Bruder des Divisionsarztes. Er bittet ihn, die politischen Übergabeverhandlungen mit den Engländern zu führen. Burchard-Motz sagt nach einigem Zögern zu. Den militärischen Teil der Verhandlungen soll Kampfkommandant Wolz übernehmen.

Dieser sucht dafür zwei Mitarbeiter seines Stabes, Major Andrae und Hauptmann Link – diesen als Übersetzer -, aus und setzt zwei Schreiben auf. In dem einen, dem offiziellem Schreiben an General Lyne, bedankt Wolz sich dafür, dass die Engländer nicht weiter das Lazarett in Harburg beschießen würden. Zudem wird in dem Papier Major Andrae als Unterhändler legitimiert.

Antwort Kampfkommandant Alwin Wolz auf die  Kapitulationsaufforderung von General Lyne

Antwort Kampfkommandant Alwin Wolz auf die Kapitulationsaufforderung von General Lyne

Zweite Antwort von Kampfkommandant Alwin Wolz

Zweite Antwort von Kampfkommandant Alwin Wolz

Das zweite Schreiben hingegen ist inoffiziell und enthält die Bereitschaft, Übergabeverhandlungen aufzunehmen. Wolz schreibt darin: „Die Gedanken, die Sie – General Lyne – in Ihrem Schreiben in so klarer Weise zum Ausdruck gebracht haben, sind bei der derzeitigen Situation naturgemäß auch von zahlreichen verantwortlichen Führern und mir in Erwägung gezogen worden. Eine etwaige Übergabe Hamburgs würde weitreichende militärische und politische Folgen für das ganze noch unbesetzte norddeutsche Gebiet und Dänemark haben. Infolgedessen entbehrt der mir erteilte strikte Befehl, Hamburg bis zum letzten Mann zu halten, nicht einer inneren Berechtigung. Trotzdem bin ich und ein bevollmächtigter Vertreter des Herrn Reichsstatthalters und Gauleiters Kaufmann bereit, … das Problem einer etwaigen Übergabe zu besprechen. …“

Allerdings verzögert sich zunächst die Abreise von Bürgermeister a.D. Burchard-Moritz, Andrae und Link noch, weil man erst die Rückkehr Stabsarzt Burchard und Leutnant von Laun abwarten will. Die beiden treffen gegen 15 Uhr in der Rothenbaumchaussee ein und überbringen Wolz die mündliche Botschaft, er solle innerhalb von 24 Stunden einen Parlamentär schicken. Zugleich verpflichten die Engländer sich zu einer 24-stündigen Waffenruhe.

Wolz hat derweil mit einem weiteren Problem zu kämpfen. Großadmiral Dönitz weiß davon, dass der Kampfkommandant und der Gauleiter Karl Kaufmann bereit sind, zu kapitulieren. Daher befiehlt er Fliegergeneral Koehler, Wolz zu ersetzen und Hamburg – koste es, was es wolle – zu verteidigen. Wolz gelingt es jedoch, Koehler hinzuhalten. Am Ende wird Koehler nie die Geschäfte des Kampfkommandanten von Hamburg übernehmen. Zudem schickt Dönitz ein Fernschreiben an Kaufmann, in dem er noch einmal nachdrücklich die Verteidigung Hamburgs befiehlt.

In Hamburg aber stehen die Zeichen längst auf Kapitulation. Gauleiter Kaufmann lädt für 17 Uhr die wichtigsten Führungskräfte, darunter Kampfkommandant Wolz, zu einer Lagebesprechung ein. Er erklärt, dass er für den 2. oder 3. Mai mit dem Einmarsch der Engländer in Hamburg rechne. In der Runde geht es von diesem Zeitpunkt an nur noch darum, wie man die von Dönitz befohlene Verteidigung Hamburgs, die große zivile Verluste erwarten lässt, verhindern kann.

Unterdessen sind die beiden Parlamentäre Andrae und Link auf dem Weg zu den Engländern. Gegen 18 Uhr fahren sie in der Rothenbaumchaussee in einem zivilen Auto los und überqueren gut eine Stunde später bei Meckelfeld die Frontlinie. Von dort werden sie zum Hauptquartier von Generalmajor Lyne gebracht und erklären nach einigem Hin und Her, dass sie ein Angebot zur kampflosen Übergabe Hamburgs übermitteln sollen.

General Lyne nimmt die beiden Schreiben von Generalmajor Wolz zur Kenntnis und diktiert daraufhin den beiden Offizieren die Kapitulationsbedingungen. Sollte Wolz diese Bedingungen akzeptieren, werde er am Abend des darauffolgenden Tages, dem 2. Mai, an der Front unweit von Meckelfeld erwartet. Dann könne man über weitere Einzelheiten der Übergabe Hamburgs reden. Zudem sichern die Engländer zu, dass sie bis dahin Hamburg nicht weiter angreifen würden.

Die beiden deutschen Offiziere kehren anschließend in die Kampfkommandantur zurück und informieren Generalmajor Wolz über das Gespräch. Der Kampfkommandant befiehlt den ihm unterstehenden Truppen, „Feindberührung“ zu vermeiden. Auch der Chef der Kriegsmarinedienststelle Hamburg, Konteradmiral Bütow, lässt die Marinetruppen von der Front abziehen.

 

Der 2. Mai 1945

 

Es ist eine unübersichtliche Situation in Hamburg an diesem 2. Mai 1945. Während Kampfkommandant Alwin Wolz im Einverständnis mit Gauleiter Karl Kaufmann mit den Engländern über einer kampflose Übergabe Hamburgs verhandelt, verlangt Großadmiral Dönitz eine kompromisslose Verteidigung der Hansestadt. Wolz gelingt es in den frühen Morgenstunden, Einheiten der Waffen-SS von der Front abzuziehen. Er befürchtet, überzeugte Nationalsozialisten könnten auf eigene Faust die Engländer angreifen oder sich in der Stadt verschanzen.

Eine dramatische Zuspitzung erfährt die Lage, als am Vormittag, gegen 11 Uhr, an verschiedenen Stellen der Stadt ein Aufruf von Gauleiter Kaufmann ausgehängt wird, in dem er erklärt, er werde kapitulieren. Das Problem: der Aufruf sollte erst ein oder zwei Tage später öffentlich gemacht werden. Als Dönitz am Nachmittag von dem Aufruf erfährt, telefoniert er mit Kaufmann und fordert zunächst die Verteidigung der Hansestadt. Kaufmann lehnt das ab und Dönitz gibt nach einigem Zögern nach.

Befehl von Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel - Hamburg wird nicht verteidigt

Befehl von Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel – Hamburg wird nicht verteidigt

Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel

Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel

In einem Fernschreiben, das zwischen 16 und 17 Uhr in der Kommandozentrale in der Rothenbaumchaussee eintrifft, befiehlt Großadmiral Dönitz die kampflose Räumung Hamburgs. Als Zeitpunkt der Übergabe wird der 3. Mai, 13 Uhr, festgelegt. Am frühen Abend treffen noch Befehle vom Oberkommando der Wehrmacht und der Heeresgruppe Nordwest ein, in denen Hamburg zur offenen Stadt erklärt und der Rückzug der Truppen befohlen wird.

Kurz nach 21 Uhr besteigen Kampfkommandant Alwin Wolz, Bürgermeister a.D. Wilhelm Burchard-Motz, Major Andrae und Hauptmann Link ein Fahrzeug der Wehrmacht und machen sich auf den Weg zu den Engländern. Bei Meckelfeld überqueren sie die Front und werden auf der englischen Seite von  Oberstleutnant Jogg, dem Kommandeur des 9th Bataillon The Durham Light Infantry in Empfang genommen. Den Deutschen werden die Augen verbunden.

Anschließend geht es in das Hauptquartier der 131st Infantry Brigade, das in einem Landhaus in Klecken untergebracht ist. Dort trifft die Delegation auf Brigadegeneral Spurling, der von mehreren Stabsoffizieren und Dolmetschern begleitet wird. Auf die Frage, was der Zweck des „Besuches“ sei, antwortet Generalmajor Wolz: „Die Übergabe Hamburgs“, berichtet Burchard-Motz später. Die Nachfrage, ob es um eine „bedingungslose Kapitulation“ gehe, bejaht Wolz.

Die eigentlichen Verhandlungen führt Divisionskommandeur Lyne. Wolz erklärt noch einmal, dass er zu einer bedingungslosen Kapitulation Hamburgs bereit sei und fügt hinzu, dass er einen Termin für Verhandlungen über eine Teilkapitulation der Wehrmacht im Nordwesten Deutschlands vereinbaren solle. Der Termin wird für den 3. Mai 1945 festgelegt, Wolz soll die Delegation des Oberkommandos der Wehrmacht (OKW) begleiten.

Zudem verspricht der Kampfkommandant, dass in Hamburg am 3. Mai in der Zeit zwischen 13 und 19 Uhr eine Ausgangssperre verhängt wird. In dieser Zeit sollen die englischen Truppen in die Hansestadt einmarschieren. Außerdem sollen auf den drei geplanten Vormarschstraßen der englischen Truppen alle Minen und Pioniersprengladungen an den Elbbrücken umgehend beseitigt werden. Zu diesem Zeitpunkt  wird der Einmarsch für die frühen Nachmittag festgelegt. Gauleiter Kaufmann und Bürgermeister Carl Vincent Krogmann sollen General Spurling 14 Uhr im Rathaus offiziell die Stadt übergeben.

Gegen ein Uhr nachts werden die Gespräche beendet. Es wird allerdings nichts schriftlich festgehalten. Das soll einige Stunden später erfolgen.

 

Der 3. Mai 1945

 

Es ist früh am Morgen des 3. Mai 1945, als die deutsche Delegation unter Führung von Kampfkommandant Alwin Wolz sich auf den Weg zurück nach Hamburg macht. Nach einer Zwischenstation im Stab von General Spurling, bei dem auch über das Grauen des Konzentrationslagers Bergen-Belsen gesprochen wird, kehrt die deutsche Delegation gegen 5 Uhr in die Kampfkommandantur zurück.

Aufruf an die Hamburger vom 3. Mai 1945

Aufruf an die Hamburger vom 3. Mai 1945

Mehr Zeit als für ein kurzes Frühstück bleibt Generalmajor Wolz nicht, da er in Begleitung von Major Andrae die Delegation des Oberkommandos der Wehrmacht zu General Lyne bringen muss. Es ist wenige Minuten vor 9 Uhr, als diese Delegation – zur ihr gehören Generaladmiral von Friedeburg, Konteradmiral Wagner, General Kinzel und Major Friedel – an der Hittfelder Landstraße in Fleestedt von den Engländern empfangen wird.

Wolz hofft, nun nach Hamburg zurückkehren und Vorbereitungen für den Einmarsch der englischen Truppen treffen zu können. Allerdings wird ihm das verwehrt. Stattdessen muss er zusammen mit der OKW-Delegation nach Häcklingen bei Lüneburg in das Landhaus des Brauereidirektors Alexander Möllering fahren.

Da die Bedingungen der Übergabe zwar mündlich vereinbart, aber noch nicht schriftlich fixiert wurden, muss Wolz im Hauptquartier der 2. Britischen Armee warten, bis er die Kapitulationsurkunde unterschreiben kann. Die Engländer haben inzwischen den ursprünglich für 13 Uhr vorgesehen Einmarsch ihrer Truppen auf 18 Uhr verschoben.

Der Befehlshaber der 2. Britischen Armee, General Miles C. Dempsey, verliest die Kapitulationsbedingungen, die General Wolz Satz für Satz übersetzt werden müssen. „Da der Dolmetscher die deutsche Sprache nur mangelhaft beherrschte, kam es immer wieder zu Missverständnissen und Nachfragen, die auf beiden Seiten zu gereizten Reaktionen führten“, schreiben Bahnsen und von Stürmer in ihrem Buch. Letzten Endes verlässt General Dempsey mit einem ärgerlich ausgesprochenen „Finish“ den Raum und Wolz unterzeichnet die Vereinbarung.

Anschließend tritt Wolz die Rückfahrt nach Hamburg an – allerdings in einem britischen Wagen mit einem britischen Fahrer, da sein Auto defekt ist. Gegen 17 Uhr kommt der Kampfkommandant am Hamburger Rathaus an. Hamburg selbst liegt wie ausgestorben da. Über den Rundfunk war den gesamten Tag über in 15-minütigem Abstand vermeldet worden, dass der Einmarsch der englischen Truppen unmittelbar bevorstehe.

Zudem wurde eine Bekanntmachung veröffentlicht, die erste Anweisungen der britischen Besatzungstruppen enthält. Demnach gelten eine Ausgangssperre und ein Verkehrsverbot. Davon ausgenommen sind lediglich die Mitarbeiter der Elektrizitäts-, Gas- und Wasserwerke. Die wichtigsten Straßenkreuzungen und bedeutende öffentliche Gebäude werden durch Schutzpolizisten gesichert. Bei Nichtbefolgung dieser Anweisung droht die Besatzungsmacht mit dem Einsatz von Waffengewalt.

Weiße Fahnen sind nirgends in der Stadt zu sehen. Die Sorge, versprengte SS-Truppenteile oder uneinsichtige Reste des Volkssturms könnten die Engländer in Straßenkämpfe verwickeln, stellt sich als unbegründet heraus.

Auch für die Engländer ist der Einmarsch in die Millionenstadt etwas Besonderes. Alle wichtigen Stationierungspunkte werden genau festgelegt. Die Offiziere achten auf die Sauberkeit und den korrekten Sitz der Uniformen und geben Anweisungen für richtiges Verhalten. „The germans respect a smart soldier“ heißt es zur Begründung.

Gegen 15.45 Uhr ist es endlich so weit und die englischen Truppen werden in Marschbereitschaft versetzt. Um 16.13 Uhr ertönt das Codewort „Baltic“ – der Befehl zum Einmarsch. In drei Marschsäulen – aus Richtung Buxtehude, von Nenndorf über Tötensen und aus Richtung Hittfeld – setzen die Panzer der 7. Britischen Panzerdivision sich in Bewegung und nähern sich der Hansestadt.

Ein britischer Panzer steht kurz vor dem Einmarsch am 3. Mai vor den Elbbrücken.

Ein britischer Panzer steht kurz vor dem Einmarsch am 3. Mai vor den Elbbrücken.

Vor den Elbbrücken treffen die drei Stränge aufeinander und überqueren als eine Marschkolonne die Elbe. Über den Heidenkampsweg und die Mönckebergstraße geht es weiter in Richtung Rathausmarkt. „Alle 50 Meter hatten auf dem Weg dorthin deutsche Polizisten gestanden“, schreibt Ahrens. „They were all old men, armed and smartly dressed. Some soluted, others just stared or waved the vehicles on.“

Wie Jan Heitmann in seinem Buch „Das Ende des Zweiten Weltkrieges in Hamburg“ schreibt, liegt an der Spitze der Marschkolonne das Aufklärungsregiment der Division unter der Führung von Colonel Wainman. Ihm folgen in einigem Abstand die restlichen Teile der Division. „Diese wurden von ‚Sharpshooter‘ und ‚Jerboa’ angeführt, den letzten Panzern der Division, die den Vormarsch durch Europa seit der Landung in der Normandie überstanden hatten.“

Colonel Weinmann trifft der Darstellung von Heitmann zufolge kurz vor 18 Uhr am Rathausmarkt ein. Kampfkommandant Alwin Wolz und seine Offiziere warten schon, doch es entsteht eine eigenartige Situation, weil Weinmann in alle Ruhe damit beginnt, auf dem Rathausmarkt einige Tauben zu füttern. „Einer der Offiziere, vermutlich Hauptmann Link, der bei der Übergabe als Dolmetscher fungierte, kam auf ihn zu und erklärte, dass Generalmajor Wolz die Stadt Hamburg zu übergeben wünsche“, schreibt Heitmann weiter. Doch Weinman antwortet offenbar nur mit den Worten, dann müsse er auf Brigadegeneral Spurling warten.

General Wolz übergibt General Spurling HamburgEs ist 18.25 Uhr, als Brigadegeneral Spurling eintrifft. Generalmajor Alwin Wolz empfängt ihn am Eingangsportal des Hamburger Rathauses und übergibt ihm militärisch die Stadt. Dann führt Wolz die englischen Militärs in den Bürgermeistersaal. Dort warten Gauleiter Karl Kaufmann und Bürgermeister Vincent Krogmann.

Kaufmann steht allein in der Mitte des Saales, beschreibt Heitmann die Situation. In einigem Abstand haben sich Bürgermeister Vincent Krogmann, Staatssekretär Ahrens, der Polizeipräsident und hohe NSDAP-Funktionäre sowie die Senatoren versammelt. Nach einem kurzen Handschlag erklärt Kaufmann, die kampflose Übergabe der Stadt solle den Tod von Hunderttausenden Frauen und Kindern verhindern.

Brigadegeneral Spurling und seine Begleiter, Gauleiter Kaufmann, Wolz und Bürgermeister a.D. Burchard-Motz nehmen daraufhin an einem Tisch Platz. „Der Brigadegeneral erklärte den anwesenden Deutschen, sei seien zunächst weiter für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verantwortlich, und übergab ihnen dazu Befehle“, schreiben Uwe Bahnsen und Kerstin von Stürmer. Kurz vor 19 Uhr informiert Kaufmann den englischen Brigadegeneral darüber, dass für ihn und seine Begleitung ein Abendessen im Hotel Atlantic vorbereitet sei.

Major D.T. Morrison, der Beauftragte für die Militärregierung, führt anschließend erste Gespräche darüber, wie künftig die Stadt verwaltet werden soll. „Parallel besetzten britische Truppen in den frühen Abendstunden die Viertel rund um die Innenstadt sowie strategisch wichtige Punkte“, schreibt der Historiker Michael Ahrens in seinem 2011 erschienenen Buch „Die Briten in Hamburg – Besatzerleben 1945-1958“.

„Das Hauptquartier der 131. Infateriebrigade wurde im Hotel ‚Vier Jahreszeiten‘ eingerichtet, die Dockanlagen im Hafen und sämtlich Elbbbrücken sicherte die 22. Panzerbrigade. Die ‚11. Hussars‘ bewachten die nördlichen und westlichen Haupteinfallstraßen. Die gesamte Innenstadt wurde vom ‚Queens Regiment‘ und Einheiten der ‚5. Royal Tanks‘ besetzt. Schließlich sicherte das 2. Battalion ‚The Devonshire Regiment‘ das Gebiet westlich der Außenalster bis in die nördlichen Außenbezirke. “

Die Stadt Hamburg ist durch die kampflose Übergabe ihrer totalen Zerstörung entgangen. Doch die Zeichen der Not sind unübersehbar. Zwar lagern am 3. Mai 1945 zwischen 50.000 und 60.000 Tonnen Getreide in der Hansestadt und sichern die Brotversorgung für vier Monate. Doch Kartoffeln und Kohlen sind schon zu Kriegsende knapp.

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