Die ersten Schritte zum neuen Senat


 

8700 Beamte und Angestellte müssen den Staatsdienst verlassen

 

Schon bei den Kapitulationsverhandlungen im Lüneburgischen hatten Hamburgs Kampfkommandant Alwin Wolz einen ersten Vorgeschmack darauf bekommen, dass die Engländer sich nicht als Befreier, sondern als militärischer Sieger sahen. „Die britische Besatzung in Hamburg zeichnete sich – besatzungspolitisch gewollt und durch Militärgouverneur Montgomery verkörpert – von Anfang Mai 1945 bis Sommer 1946 durch einen militärischen Charakter aus“, schreibt der Historiker Michael Ahrens. Das war auch daran zu erkennen, dass alle Mitglieder der Militärregierung Uniform zu tragen hatten.

 

 
Mit freundlicher Genehmigung von Spirit of Hamburg
 
 

Allerdings sollten Militär und Militärregierung schon wenige Tage nach der Besetzung getrennte Wege gehen. Der Gouverneur hatte dabei drei Aufträge:
1. die Umerziehung der Deutschen
2. die Verhinderung der Verbrüderung zwischen den Deutschen und den alliierten Truppen
3. die Lösung der existenziellen Nachkriegsprobleme der Deutschen.

Als der britische Brigadegeneral Spurling am 3. Mai bei der Übergabe der Stadt Gauleiter Karl Kaufmann Befehle zur Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung übergab, dürfte der mächtige Nationalsozialist nicht geahnt haben, dass er schon am Tag darauf um 13 Uhr verhaftet und in das Internierungslager Neuengamme – dem ehemaligen Konzentrationslager – gebracht werden würde.

Die Alliierten machten jedoch keinen Hehl daraus, dass sie Deutschland „besetzt“ haben, „um gewisse alliierte Ansichten“ zu verwirklichen. Diese „gewissen Absichten“ der Militärregierung wurden in der Hansestadt rasch umgesetzt. „In Hamburg wurde bereits einen Tag nach der Übergabe an die englischen Truppen damit begonnen, politisch belastete Beamten und Angestellte der Verwaltung aus dem Dienst zu entlassen“, schreibt Hartmut Hohlbein in seinem 1985 erschienenen Buch „Hamburg 1945 – Kriegsende, Not und Neubeginn“.

Die Engländer gingen davon aus, dass der „gesamte deutsche Staats- und Verwaltungsapparat aus Nazis bestanden hatte“. Daher wurde jeder Deutsche, der in den Staatsdienst wollte, zunächst vom britischen Geheimdienst überprüft. „Es wurde vornehmlich dabei nach der Art und Weise des aktiven Eintretens für den Nationalsozialismus gefragt, und ob die betreffenden Personen erst nach dem 1. Mai 1937 in die Partei eingetreten waren.“

Für Hamburg bedeutete das, dass rund 8700 Angestellte und Beamte – insgesamt gab es etwa 48.000 – aus dem Staatsapparat entlassen oder verhaftet wurden. „Bis Anfang August 1945 wurden bei den Behörden und anderen öffentlichen Einrichtungen Kommissionen gebildet, die unter der Verantwortung der Militärregierung für die Entlassungen von Beamten und Angestellten zuständig waren“, schreibt Hohlbein.

 

Ein Rekrutenausbilder wird Hamburgs Militärgouverneur

 

Als Chef der englischen Militärregierung war der Colonel Harry William Hugh Armytage vorgesehen. „Er gehörte nicht zur kämpfenden Truppe, sondern vielmehr zu dem Kreis von Soldaten, die für Verwaltungsaufgaben im besetzten Deutschland vorgesehen und vorbereitet waren“, schreibt Hohlbein.

Da Gauleiter Kaufmann verhaftet wurde, führte zunächst der „regierende Bürgermeister“ Carl Vincent Krogmann die Geschäfte. Unter seiner Leitung fanden zwischen dem 5. und 9. Mai täglich Sitzungen des Senats statt. Im Kern sei es darum gegangen, die öffentliche Ordnung aufrecht zu halten und Befehle der Militärregierung in verwaltungsmäßiges Handeln umzusetzen, schreibt Peter Gabrielsson in einem Beitrag für die „Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte“.

 

Eine Abschrift des Protokolls der ersten Senatssitzung nach Kriegsende:

Protokoll der Senatssitzung vom 5. Mai 1945  - Teil eins

Protokoll der Senatssitzung vom 5. Mai 1945 – Teil eins

Protokoll der Senatssitzung vom 5. Mai 1945  - Teil zwei

Protokoll der Senatssitzung vom 5. Mai 1945 – Teil zwei

Protokoll der Senatssitzung vom 5. Mai 1945  - Teil drei

Protokoll der Senatssitzung vom 5. Mai 1945 – Teil drei

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Dabei verhielten die Engländer sich wie einst in ihren Kolonien. Hamburg sollte sich unter der Aufsicht der Besatzungstruppe selbst verwalten. In den Senatssitzungen ging es beispielsweise darum, wer die Befehle von den Engländern entgegen nehmen solle, wer die Kunstschätze bewache, wie die Freigabe der Elbbrücken geregelt sei oder ob man die Schulen wiedereröffnee. Wie aus den Senatsprotokollen deutlich wird, waren die Sitzungen von einem großen Maß an Unklarheit gekennzeichnet, wie es weitergehen soll.

Ein tiefer Einschnitt für die Hamburger Verwaltung stellte der 11. Mai 1945 dar. An diesem Tag hatte Colonel Armytage alle Leiter der Fach- und Regionalverwaltungen in den Senatssitzungssaal des Rathauses bestellt. Insgesamt waren 50 Personen anwesend. Jeder von ihnen musste seinen Namen nennen, seinen Rang und die Dauer seiner Mitgliedschaft in der NSDAP angeben.

„Nach einer kurzen Ansprache, in der Armytage auf die große Schuld der NSDAP hinwies und auf die Mitschuld aller, die ihr geholfen hatten, teilte er die Verhaftung Krogmanns und mehrerer Senatsmitglieder und die Suspendierung der meisten anderen Anwesenden von ihren Ämtern mit“, schreibt Gabrielsson. Die Verhafteten wurden – wie Tage zuvor Karl Kaufmann – in das Internierungslager Neuengamme eingeliefert.

Lediglich jene Senatsmitglieder, die gar nicht in der NSDAP gewesen oder ihr erst 1937 beigetreten waren, verblieben in ihren Ämtern. Dazu gehörten Sozialsenator Oskar Martini, Stadtkämmerer Bernhard Hieronymus Velthuysen und der Leiter der Allgemeinen Verwaltung, Staatssekretär Georg Ahrens.

 

Hamburgs Erster Bürgermeister heißt Rudolf Petersen

 

Diesen drei Übriggebliebenen befahl Armytage, bis 12. Mai 1945, 16 Uhr, einen Vorschlag über die personelle Neubesetzung der einzelnen Posten zu unterbreiten. Dazu gehörte der Vorschlag, wer Erster Bürgermeister Hamburgs werden sollte. Entscheidende Kriterien waren:

1. Die Person musst eine unabhängige Persönlichkeit mit Beziehungen zu England sein.
2. Sie sollte die englische Sprache beherrschen.
3. Sie darf kein Parteigenosse gewesen sein.

Da den Senatsmitgliedern so rasch kein geeigneter Kandidat in den Sinn kam, fragten sie in der Gauwirtschaftskammer, der früheren Handelskammer, um Rat. Diese präsentierte noch am selben Abend zwei Vorschläge: einen Rechtsanwalt und den Kaufmann Rudolf Petersen, der bis 1933 dem Verband Deutscher Exporteure vorgesessen hatte.

„Da gegen die Person des Rechtsanwalts Bedenken wegen der politischen Einstellung seiner Familie erhoben wurden, beschloss man, Petersen zu informieren und seine Bereitschaft zur eventuellen Übernahme des Bürgermeisteramtes einzuholen“, schreibt Hohlbein. Petersen gehörte einer altehrwürdigen Hamburger Kaufmannsfamilie an. So waren bereits sein Großvater und sein Bruder Hamburger Bürgermeister gewesen. Während der Nazizeit verlor Rudolf Petersen verschiedene Ehrenämter, da seine Mutter den nationalsozialistischen Rassengesetzen zufolge Jüdin war.

Nach einigem Zögern willigte Rudolf Petersen ein und wurde am 14. Mai 1945 von der Militärregierung als „Vorsitzender des Verwaltungsausschusses“ eingesetzt. Am 15. Mai erfolgte seine Ernennung zum Ersten Bürgermeister. Die Engländer hatten ihm – in Unkenntnis der Hamburger Verhältnisse – zunächst den Titel „Oberbürgermeister“ verleihen wollen, was Petersen jedoch ablehnte. Zudem entsprach Hamburgs „Regierung“ zu diesem Zeitpunkt noch nicht der eines „Senats der Freien und Hansestadt Hamburg“. Seine Antrittsrede hielt Petersen, der den Spitznamen „Old P.“ erhielt, im Senat vor den beiden im Amt verbliebenen Senatoren und mehreren Spitzenbeamten.

Es war schwer, auf die Schnelle geeignete Fachleute zu finden, die erfahren und qualifiziert, aber auch politisch unbelastet waren. Daher wurden schon im Verlaufe des Mai 1945 einige Beamte aus dem Ruhestand zurückgeholt. Zudem musste die Verwaltung sich vorerst ihr Handeln durch die britischen Besatzungstruppen absegnen lassen. Vom 15. Mai bis zum 29. Juni fanden 15 Beratungen der vorläufigen Verwaltung statt, schreibt Gabrielsson.

„Erst nachdem die Militärregierung am 28. Juni 1945 dem Bürgermeister die Genehmigung erteilte, die Staats- und Gemeindeverwaltung zusammenzulegen, ihm am 3. Juli 1945 die Reichsbehörden in Hamburg mit Ausnahme der Reichsbank, der Reichsbahn und der Reichspost unterstellte, ihm für das Gebiet der Hansestadt Hamburg die Befugnisse des bisherigen Reichsstatthalters übertrug und ihn ermächtigte, Recht zu setzen, konnte ein Senat im Sinne einer Landesregierung erneut die Verwaltungsgeschäfte leiten.“ Allerdings bedurften auch weiterhin Verordnungen des Senatschefs, wenn sie von grundlegender Bedeutung waren, der Zustimmung die Engländer.

„Petersen war durch die Militärregierung eine beachtliche Machtfülle übertragen worden, die auch die Berechtigung beinhaltete, sich den Senat nach eigenen Vorstellungen zusammenzustellen“, schreibt Hohlbein. Der Erste Bürgermeister suchte daher rasch Kontakt zu dem langjährigen sozialdemokratischen Bürgerschaftsabgeordneten und ehemaligen Polizeisenator Adolph Schönfelder. „Hierbei ging es anfangs mehr um einen Gedankenaustausch und auch das Einholen von Meinungen, als um eine förmliche Zusammenarbeit.“

Nach einigem Zögern – die SPD war zu diesem Zeitpunkt noch nicht wieder zugelassen – und der Zustimmung einer „gerade im Gewerkschaftshaus tagenden Versammlung von Arbeitern, die der Sozialistischen Freien Gewerkschaft (SFG) angehörten“, trat Schönfelder dem Senat bei und arbeitete dort als Chef der Verwaltung.

Petersen erkannte früh die Bedeutung enger und vertrauensvoller Beziehungen zu den englischen Besatzungstruppen. Über mehrere Wochen erschien er jeden Morgen bei Colonel Armytage, um Dinge zu besprechen, Bericht zu erstatten oder direkte Befehle entgegenzunehmen. „Petersen berichtete später, dass, nachdem Armytage Vertrauen zu ihm gefasst hatte, seine Entscheidungsfreiheit ständig größer geworden sei“, schreibt Hohlbein.

Petersen hatte sich allerdings auch die Achtung der Vertreter der Besatzungstruppen erworben. „Den Engländern imponierten sein akzentfreies Englisch, das trotz dieser beispiellosen Niederlage ungebrochene Selbstbewusstsein des hanseatischen Kaufmanns, der zwar nicht zu den Verfolgten des NS-Regimes gehörte, aber auch nicht mit den Nazis paktiert hatte, und die pragmatische Zähigkeit, mit der er sein Amt ausfüllte“, schreiben Uwe Bahnsen und Kerstin von Stürmer in ihrem Buch „Die Stadt, die leben wollte“.

Lesen Sie weiter: Am 8. Mai fährt die U-Bahn wieder

Pin It on Pinterest

Share This