Strom, Wasser und Gas gibt es immer


 

Schwere Zerstörungen, aber auch reichlich Substanz

 

Als die Engländer in den frühen Abendstunden des 3. Mai die Elbbrücken passieren, ist ihnen klar, dass sie in eine von Krieg gezeichnete Millionenmetropole einmarschieren. Immerhin waren Berechnungen der US-Armee zufolge bei mehr als 200 Luftangriffen 41.300 Tonnen an Bomben auf die Stadt abgeworfen worden. Allein bei den mehrtägigen Angriffen der Operation „Gomorrha“ im Juli und August 1943 wurde so gut wie jede zwei Wohnung zerstört.

Doch als die Engländer in Hamburg einfahren, sind sie angesichts der flächendeckenden Zerstörungen vor allem in den östlichen Teilen der Stadt ziemlich betroffen. „In some areas, one could drive for a mile and see nothing but ruins“, heißt es in einem Bericht. Generalmajor Lewis Lyne, er hatte die Kapitulationsbedingungen diktiert, beschrieb den Blick auf den Hafen als „furchteinflößend“, wie Michael Ahrens in seinem Buch „Die Briten in Hamburg – Besatzerleben 1945-1958“ schreibt.

Sperrgebiet_02

Manche Gebiete der Stadt waren nach den Bombenangriffen zum Sperrgebiet erklärt worden.

In einem ersten Bericht der britischen Besatzungstruppen ist davon die Rede, dass Hamburgs Innenstadt und Hafen zu 80 Prozent zerstört seien. Die größte Sorge galt daher zunächst der Versorgung mit Wasser, Strom und Gas. „Die Briten mussten ihre Handlungsmaxime binnen Tagen ändern: Was eben noch zu zerstören galt, wurde nun daraufhin geprüft, wie es möglichst schnell wieder funktionieren konnte.“

Auf den zweiten Blick der Briten entpuppten sich die Folgen des Krieges allerdings als doch nicht so desaströs wie befürchtet. „Am 12. Mai 1045 war auch die Führung der Armee zu der Erkenntnis gelangt, dass sich hinter den augenscheinlichen Zerstörungen Substanz befand“, schreibt Ahrens. „Die Wasserversorgung sei erst einmal gesichert, und auch die Stromversorgung funktioniere. Noch unklar sei die Regelung der Abwasserentsorgung.“

Ähnlich sah es Arthur Dähn, eine langjähriger Mitarbeiter der Baubehörde, der die baulichen Schäden in Hamburg aufnahm. Zwar habe es an der Strom-, Gas- und Wasserversorgung Schäden geben, welche die Versorgung wesentlich beeinträchtigt hätten, schreibt Dähn in seiner Zusammenfassung „Die Zerstörung Hamburgs im Zweiten Weltkrieg“. „Zum Glück sind jedoch die Zerstörungen nie so groß geworden, dass diese wichtigen Lebensgüter einer Großstadt völlig ausfielen.“

Anders sei die Situation bei den Sielanlagen gewesen. Diese wurden Dähn zufolge an etwa 2.200 Stellen beschädigt. Neben Sielpumanlagen waren besonders die großen Stammsiele betroffenen. Das stellte für die hygienische Situation in der Stadt eine große Gefahr dar.

 

160 Schulen und 100 Kirchen sind zerstört

 

Eine genaue Auflistung der zerstörten öffentlichen Gebäude veröffentlichte die Baubehörde erst 1954. „Es waren etwa 160 Schulen und über 100 Kirchen zerstört, insbesondere die Kirchen St. Catharinen, St. Jacobi und St. Nicolai, sowie die St. Georger Kirche“, schreibt Dähn.

Von einem großen Vorteil für die Hansestadt sei gewesen, dass das Rathaus und einige andere Verwaltungsgebäude sowie der Kern der Innenstadt erhalten geblieben seien, „so dass von dort aus sofort nach Kriegsbeendigung der Aufbau der Stadt und der Verwaltung und die Ingangsetzung eines normalen Lebens leichter erfolgen konnte, als in Städten, deren Innenstadt vollkommen zerstört war“.

 

Fotogalerie: Viele öffentliche Gebäude sind zerstört

 

Dähn ging davon aus, dass durch den Krieg etwa die Hälfte aller Arbeitsstätten in Hamburg völlig zerstört wurden. „Darunter sind insbesondere die Werften, mit der Werft Blohm &Voss an der Spitze. … Weiter wurden vernichtet die größeren Werke der Mineralölverarbeitung, der größte Teil der hamburgischen Lagerhäuser, Fabriken, Werkstätten, Büro- und Kaufhäuser von Industrie, Handel und Gewerbe.“

Bei der Post seien 15 große Gebäude völlig vernichtet worden, darunter die Fernsprechgebäude Große Allee und Schlüterstraße sowie das Hauptpostgebäude am Hühnerposten und Altona-Poststraße. Insgesamt seien etwa 22 Prozent des baulichen Bestandes bei der Post zerstört worden. Bei vielen anderen Postgebäuden seien leichtere und mittlere Schäden zu beklagen gewesen.

 

Nur noch zehn Prozent der Kapazität zu Friedenszeiten

 

Weil die Hinterlandverbindungen, Straßen, Schienen und Brücken infolge der Kampfhandlungen beschädigt oder zerstört waren, kam dem Hamburger Hafen eine besondere Bedeutung für die Versorgung Hamburgs zu. Allerdings hatte der Hafen zu Kriegszeiten als wichtigen militärisches Ziel gegolten. „Die Zerstörungen waren kaum zu überblicken“, schreibt Ahrens. „Nur ein Fünftel der Kapazitäten von 1939 waren erhalten geblieben.“ 2900 Schiffswracks blockierten die Hafenbecken.

Blohm&Voss

Schwere Schäden im Hafen bei Blohm&Voss

„Infolge der im Hamburger Hafen eingetretenen Kriegsschäden betrug die Leistungsfähigkeit der Hafenumschlagsanlage nach dem Zusammenbruch nur noch zehn Prozent der friedensmäßigen Kapazität“, schreibt Dähn. Die Minderung der Umschlagskapazität war vor allem die Folge von zerstörten Schuppenflächen, Kränen, und Gleisanlagen.

Doch auch im Hafen offenbarte die genauere Untersuchung, dass die Situation nicht ausweglos war. „Die Straßen- und Brückenarbeiten waren offenbar das geringste Problem für die Öffnung des Hafens.“ Mehr Aufwand erforderten die Befreiung der Kais von Bombenschäden und die Reparatur der Eisenbahnanlagen.

„Für die britischen Anforderungen konnte man trotz der zahlreichen Wracks eine ganze Reihe an Liegeplätzen zur Verfügung stellen“, schreibt Ahrens. So seien 289 von 722 Kaikränen intakt und funktionsfähig gewesen. Am Asienkai entdeckten die Engländer sogar kaum beschädigte Getreideförderbänder. „Für den Transport von kleineren Gütermengen innerhalb des Hafens waren ausreichend Schuten vorhanden.“

Wie in der Verwaltung standen die Briten auch im Hafen vor dem Problem, dass es Fachkräften mangelte. Lediglich 1000 ausgebildete Hafenarbeiter standen nach Darstellung von Ahrens zu Kriegsende zur Verfügung. „Die 2. Britische Armee war deshalb um Hilfe gebeten worden, ehemalige Stauer vorzeitig aus der Kriegsgefangenschaft zu entlassen.“ Zudem wurden ehemalige Arbeiter und Angestellte des Strom- und Hafenbaus über das Radio gesucht.

Der Hamburger Hafen sollte so rasch wie möglich zum zentralen britischen Versorgungshafen werden. „Täglich, so die Zielvorgabe, sollten 6000 Tonnen umgeschlagen und zusätzlich bis zu vier kleinere Schiffe, gelegentlich Tanker und bis zu vier ‚Liberty Type Ships‘ abgefertigt werden können“, schreibt Ahrens. Bereits am 3. Juli 1945 lief in Hamburg der erste Schiff nach dem Krieg vom Stapel.

 

Erste Fortschritte im öffentlichen Leben

 

Die ersten Fortschritte im öffentlichen Leben nach dem Zusammenbruch des Nazi-Regimes und der Besetzung durch die Engländer zeigten sich bereits im Sommer. Wie Hartmut Hohlbein in seinem 1985 erschienenen Buch „Hamburg 1945 – Kriegsende, Not und Neubeginn“ schreibt, signalisierten einige Ereignisse „die beginnende Rückkehr zu normalen Lebensverhältnissen“.

Dazu gehörte die Freigabe von 500 Telefonanschlüssen für auswärtige Gespräche durch die Engländer. Die Nachfrage hielt sich allerdings in Grenzen. Lediglich 24 Interessenten gab es, so dass die meisten Anschlüsse der Verwaltung und der Handelskammer überlassen wurden.

Auch die Wiedereröffnung der Schulen am 6. August 1945 – jene, die nicht zerstört waren, hatten in den ersten Nachkriegswochen als Notunterkunft gedient – war ein solches Zeichen. „Es waren zwar zuerst nur die Grundschulklassen, in denen der Unterricht wieder aufgenommen werden konnte, aber die Oberschulen sowie Fach-und Berufsschulen würden dann noch in den nächsten Monaten folgen.“

Hohlbein zufolge wurden in der zweiten Augustwoche rund 150 Schulgebäude wiedereröffnet. In etwa 1000 Schulklassen lernten rund 50.000 Kinder. Zuvor hatte die Militärregierung 1000 Lehrern die Befugnis für den Unterricht erteilt. Der Start an der Universität dauerte hingegen noch bis zum 8. November.

Die Eröffnung der Schulen hatte für viele Familien einen positiven Nebeneffekt, wie Reinhard Reuss in seinen Erinnerungen schreibt: die von den Engländern ins Leben gerufene Schulspeisung. „Ein wahrer Segen für uns Kinder in jener Zeit. So gingen wir also mit Blechdosen, Blechtellern oder noch vorhandenen Kochgeschirren aus Wehrmachtsbeständen bewaffnet zur Schule und freuten uns auf Soja-Linsen-Bohnen- und Erbsensuppen.“ Besonders beliebt war die sogenannten Schwedenspeisung: „Kakao- und Milchsuppen“.

Von besonderem Wert war die Regelmäßigkeit der Versorgung. Außerdem hatten die Tommies auf dem Hof der Jahnschule ein Lager mit Zelt, Mobilar und Fahrzeugen, die regelmäßig mit Verpflegung beliefert wurden, so erinnert sich Reuss. „Je nach Mannschaft gab es dort auch für uns bisweilen Schokolade, Weißbrot mit Butter und Jam, wenn man großes Glück hatte wohl auch Ham and Eggs oder Plumpudding aus der Dose.“

Am 2. Juli 1945 nahm die Post wieder ihren Dienst auf, was die Transportmöglichkeiten für die Hamburger verbesserte. „In der zweiten Julihälfte wurde dann Hamburg wieder durch einen Reihe von Postbusverbindungen mit dem schleswig-holsteinischen Gebiet nördlich des Nord-Ostsee-Kanals verbunden, so dass man nicht ausschließlich auf die nur sehr selten fahrenden Eisenbahnzüge angewiesen war“, schreibt Hohlbein.

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