Das halbe Hamburg ist zerstört


 

Mit den Trümmern hätte man die Alster 23 Meter hoch auffüllen können

 

Als die Engländer am 3. Mai 1945 am späten Nachmittag über die Elbbrücken kommend das einst so stolze Hamburg besetzen, fahren sie durch eine vom Krieg schwer gezeichnete Stadt. „Rund 53.000 Hamburger Soldaten waren gefallen oder vermisst, dazu kamen noch 45.000 Bombenopfer sowie die ungefähr 55.000 toten KZ-Häftlinge“, schreibt Hartmut Hohlbein in seinem 1985 erschienenen Buch „Hamburg 1945 – Kriegsende, Not und Neubeginn“.

 

Sensationelle Entdeckung! Hamburg 1945 in Farbe und HD. from Konstantin von zur Mühlen on Vimeo.

 

Die Zerstörungen durch die Bombenangriffe auf Hamburg während des Zweiten Weltkrieges sind für den heutigen Betrachter kaum mehr vorstellbar. Auch wenn die Operation Gomorrha bereits im Sommer 1943 stattfand, so reichte in den darauf folgenden Jahren die wirtschaftliche Kraft des untergehenden Nazireichs nicht mehr, die Schäden – nicht einmal im Ansatz – zu beseitigen.

„Mit längerer Kriegsdauer nahmen die Totalschäden immer mehr zu, die Verschärfung des Krieges und die Änderung der Kriegstechnik wirkten sich aus“, schreibt Arthur Dähn. Der Mitarbeiter der Baubehörde listete nach dem Krieg akribisch die an der Hamburger Bausubstanz entstandenen Schäden auf. Vor allem die systematisch ausgeführten Bombardements hatten „zu einer Zerstörung ganzer Wohngebiete, ganzer Stadtteile, der Hälfte von Hamburg“ geführt. Leichte und mittlere Schäden gab es nur noch an den Rändern der zerstörten Wohngebiete.

In „einem Feuersturm ohnegleichen“ sei die Hälfte Hamburgs in Schutt und Asche versunken, notierte Dähn. „55.000 Menschen ließen ihr Leben.“ Mit den Menschen gingen „Hoffnungen, Güter, unersetzliche persönliche Werte, Bauwerke, Kunst- und Kulturschätze“ unter. „Das Ergebnis dieser Zerstörung waren kilometerweise Trümmergebiete, aus denen nur vereinzelt einige verschonte Gebäude herausragten.“

Menge an Trümmer in HamburgAllerdings, und darauf sollte auch der legendäre Oberbaudirektor Fritz Schumacher in einer Rede vor der Hamburgischen Bürgerschaft am 10. Oktober 1945 hinweisen, verschwand „auch manches Unerfreuliche, womit eine Großstadt zwangsweise behaftet ist“. Städtebauer sahen in den großflächigen Zerstörungen bei aller gebotener Betroffenheit durchaus eine Chance für einen modernen Wiederaufbau Hamburgs.

Wie groß die Zerstörungen in Hamburg zur Stunde Null waren, wird auch durch eine Aufstellung von Hartmut Hohlbein deutlich. Demnach wurden zwischen Mai 1945 und April 1947 folgende Trümmermengen geborgen – siehe die Grafik rechts —>:

Insgesamt hinterließ der Krieg den Hamburgern eine Trümmermenge von rund 43 Millionen Tonnen, wobei in dieser Zahl der Hafen noch nicht einmal berücksichtigt ist. Lediglich in dem fast vier Mal so großen Berlin war mit rund 70 Millionen Tonnen die Trümmermenge größer als und er Hansestadt. „Mit der in Hamburg angefallenen Trümmermenge hätte man die Außenalster nicht nur zuschütten, sondern hätte sie sogar dreiundzwanzig Meter hoch auffüllen können“, schreibt Hohlbein.

 

Zerstörungen durch Brandbomben

 

Hamburg sei zum größten Teil durch Brandbomben zerstört worden, schreibt Dähn. Während die Angriffe sich in den ersten Kriegsjahren in Grenzen hielten, traten die größten Zerstörungen in den Tagen zwischen dem 23. und 28. Juli 1943 ein. „Mehrere hundert Flugzeuge warfen bei Großangriffen bei Tag und Nacht in ungeahntem Ausmaß Brand- und Sprengbomben auf unsere Stadt, so dass allein in diesen drei Tagen 263.000 Wohnungen zerstört wurden.“

Zerstörungen im Universitätskrankenhaus (Wischen – die Bilder zur Seite schieben)

Über mehrere Tage wurde die Stadt „von Rauchwolken verdunkelt und vom Aschenregen überrieselt“. Am stärksten betroffen war der östlich der Alster gelegene Teil Hamburgs – dort, wo vor allem Arbeiter lebten. Eines der wesentlichen Ziele der britischen Luftangriffe war es, die Moral der Menschen und ihre Verbundenheit mit dem Naziregime zu erschüttern. Experten sprechen heute daher auch von einem „moral bombing“.

Otto Rudolf von Laun, einer der drei Männer, die Ende April 1945 die Kapitulation Hamburgs und damit die Rettung der Hansestadt vor ihrer totalen Zerstörung einfädelten, schrieb in seinen Erinnerungen: „Das Bemerkenswerte an diesen Luftangriffen auf Hamburg war übrigens – im Gegensatz zu Angriffen auf andere Städte – die Absicht, die angeblich Churchill gehabt haben soll: die Arbeiterviertel durch starke Angriffe in Brand zu setzen, damit möglichst viele Menschen umkamen.“

Wohnungsbestand vor und nach dem KriegDie englische Kriegsführung habe auf einen Arbeiteraufstand gehofft, der zum Rückgang der Kriegsführung führen sollte. „Man hat also ganz bewusst reine Zivilprojekte angegriffen, …, nämlich Arbeiter-Wohnviertel.“ Die Zahl der Opfer war verheerend. „Auf den Straßen lagen damals nach den Angriffen Tausende von Leichen, Zivilisten, auf einer Länge von 1,20 Meter bis 1,50 zusammengeschrumpft durch die entsetzliche Hitze, in der sie verkohlt waren“, schrieb von Laun.

Fliehen konnten die Menschen nicht. „Die englische Luftwaffe hatte nämlich hauptsächlich mit Brandbomben angegriffen, die kreisförmig abgeworfen wurden, so dass sich der Brand konzentrisch von außen nach innen fraß. Die in einem solchen Brandzirkel gefangenen Menschen konnten nicht mehr heraus.“

Wie oben schon geschrieben, ging vor allem Hamburgs Osten unter. „Es sind dieses die Stadt- und Ortsteile Barmbek, Uhlenhorst, Eilbek, Hamm, Hammerbrook, Horn, Wandsbek, Borgfelde, Hohenfelde, St. Georg“, schrieb Dähn. Schwer zerstört wurden zudem Teile der Innenstadt, Eimsbüttel, St. Pauli, Eppendorf, Altona, Harburg und der Hafen. Blankenese sei nicht getroffen worden, ergänzt von Laun. „Dort fielen nur die RAF-Flugblätter: ‚Blankenese wollen wir schonen, dort wollen wir später wohnen!‘“

Ein Falk-Stadtplan aus dem Mai 1945 zeigt das Ausmaß der Zerstörungen.

Die roten Flächen sind zerstörte Gebiete. (Zum Vergrößern anklicken.)

Stadtplan von Hamburg - 1945

Um den Umfang der Zerstörungen zu verstehen, lohnt ein Vergleich mit anderen deutschen Städten. „Von den Städten der Bundesrepublik hat Hamburg mit 52,7 Prozent zerstörtem Wohnungsbestand einen Anteil, der weit über dem Bundesdurchschnitt liegt, und mit einem Wohnungsausfall von 295.980 Wohnungen den größten Wohnungsverlust aller Städte des Bundesgebietes“, schreibt Dähn. So entspricht das in Hamburg zerstörte Wohnungsvolumen am Ende des Krieges „dem Gesamtwohnungsbestand der Städte Nürnberg, Augsburg, Ludwigshafen, Würzburg und Regensburg zusammen“.

Da vor allem Wohnbauten zerstört wurden, verloren rund eine Million Menschen ihr Dach über dem Kopf. Zugleich wurde der wirtschaftlichen Kraft der Hansestadt ein schwerer Schlag versetzt. „Vergleichen wir die Schäden an Wohnungen und Wohngebäuden miteinander, so führt dieses zu der Feststellung, dass mit 52,9 Prozent Wohnungsausfall verhältnismäßig mehr Wohnungen als Wohngebäude zerstört wurden, denn der Verlust an Wohngebäuden betrug ‚nur‘ 32,2 Prozent“, schrieb Dähn.

Die Zahlen über die Zerstörungen zeigen zudem, „dass überwiegend Wohngebäude mit vielen Wohnungen, also insbesondere die Großwohnanlagen, zerstört wurden“. Dagegen war die Zahl der zerstörten Kleinhäuser sowohl absolut als auch relativ weit geringer. „Die Angriffe haben sich zur Hauptsache auf die dicht bevölkerten Wohngebiete im städtischen Bereich Hamburgs konzentriert, während im nichtstädtischen Bereich (Randgebiete, Außenbezirke, ländliche Gebiete) die Zerstörung verhältnismäßig gering war.“

Zerstörung einiger deutscher StädteErschwerend kommt hinzu, dass zur Stunde Null 49,2 Prozent der Wohnungen total zerstört waren. Lediglich elf Prozent der Wohnungen konnten, weil sie weniger schwer beschädigt waren, noch als notdürftige Unterkunft genutzt werden. Bei Sprengbomben gab es große Schäden vor allem an den Einschlagstellen, beschrieb Dähn die Situation. Wenn ein Gebäude durch eine Brandbombe getroffen wurde, brannte es zumeist aus. „Da Hamburg überwiegend durch Brand zerstört wurde, war das typische Schadensbild die ausgebrannte Ruine.“

Beim Abriss der Ruinen achteten die Verantwortlichen der Stadt darauf, dass Gebäude, die nach 1918 erschaffen worden war, erhalten blieben. „In dieser Zeit entstanden die großen derzeit modernen Wohngebiete Jarrestadt, Hamm, Barmbek-Nord, Dulsberg, Horn mit etwa 33.700 Wohnungen“, so Dähn. Von diesen „Neubauwohnungen“ waren rund 25.900 durch Brand zerstört worden. Allerdings blieben das Mauerwerk der Außenwände und die Treppenhäuser ganz oder teilweise erhalten und eigneten sich so zum Wiederaufbau.

 

Gesamtzerstörungswert bei Wohnungen lag bei acht Milliarden D-Mark

 

Dähn und seine Mitarbeiter haben später einmal versucht, die Zerstörungen in finanzielle Werte zu fassen. „Nimmt man an, dass die Zerstörungen der anderen Baugruppen etwa den Zerstörungen im Wohnungsbau entsprechen, so lässt sich der Gesamtzerstörungswert nach dem Baukostenstand 1952 wie folgt ermitteln: 295.000 zerstörte Wohnungen mit einem durchschnittlichen Bauwert von 12.000 D-Mark je Wohnung ergeben Gesamtkosten von 3,54 Milliarden D-Mark.“

Schadensbilanz zur Stunde NullHinzu komme, dass etwa 150.000 Wohnungen mittel und leicht beschädigt wurden und dass der Instandsetzungswert durchschnittlich mit 2.000 D-Mark angesetzt werden müsse. Das ergebe 300 Millionen D-Mark, so dass der Wert der zerstörten Wohnungen insgesamt einen Wert von 3,84 Milliarden D-Mark ergeben habe. Den Zerstörungswert aller Bauwerke der anderen Baugruppen setzte Arthur Dähn mit dem gleichen Wert an, was eine Summe von 7,68 Milliarden D-Mark ergab.

Zu diesen Kosten seien noch die Kosten für die Baureifmachung von Grundstücken gekommen, so dass sich die Gesamtbaukosten, die sich aus der Zerstörung ergaben, auf etwa acht Milliarden DM belaufen. „Das bedeutet bei Vollbeschäftigung der Hamburger Bauarbeiterschaft eine Bauleistung von 25 Jahren“, rechnete Dähn aus.

 

Aufräumungsarbeiten waren schwieriger als gedacht

 

Kurz nach Kriegsende entpuppten sich die Aufräumungsarbeiten viel schwieriger als zunächst gedacht. „Es musste geklärt werden, wo mit den Arbeiten begonnen werden sollte, wo die unvorstellbar großen Mengen an Bauschutt bleiben sollten, die es zu beseitigen galt“, schrieb Hartmut Hohlbein. Man diskutierte ernsthaft die Frage, ob der Schutt auf Schiffe verladen und im Meer versenkt werden sollte.

Doch die Trümmer waren für den Wiederaufbau zu wertvoll, um sie irgendwo im Meer abzuladen. „Man benutzte sie dann, um einige der Fleete in Hamburg sowie einen Streifen neben dem Alsterdamm an der Binnenalster zuzuschütten.“ Für die Aufräumungsarbeiten auf öffentlichem Grund und Boden wurde sogar ein eigenes Aufräumungsamt geschaffen.

Zunächst ging es darum, die Hauptstraßen der Innenstadt und anschließend die wichtigsten Ausfallstraßen zu räumen. „Begonnen wurde in der Ferdinandstraße und in der Bergstraße“, so Hohlbein. „Danach ging die Arbeit voran in Richtung Mönkebergstraße und zum Alten Wall und dann in verschiedene andere Bereiche der Innenstadt.“ Daran anschließend wurden der Glockengießerwall und die Lange Reihe sowie die Straßen in Richtung Wandsbek und Altona von Schutt befreit. Die Räumung der Ferdinandstraße ermöglichte es, dass die Straßenbahnen mit den Nummern 16, 18 und 22 wieder den Rathausmarkt anfahren konnten.

Allerdings mangelte es an dem richtigen Gerät, die Trümmer zu beseitigen, an Baumaterial und an ausreichend Arbeitskräften. Da half es auch nicht, dass das alliierte Hauptquartier am 18. Mai 1945 beschloss, alle über 50-jährigen Kriegsgefangenen zu entlassen. In Hamburg wurde die Forderung laut, die Briten mögen doch bitte auf die Sprengung von Bunkern verzichten, weil diese übergangsweise als Wohnraum genutzt werden könnten.

Das Beseitigen von Trümmern war zudem nicht ungefährlich. Abgesehen davon, dass viele Gebäude einsturzgefährdet waren, wurden bei den Aufräumungsarbeiten ständig nicht explodierte Bomben und Fliegergrananten gefunden. Noch heute gilt bei Bauprojekten die Regel, dass vorher genau geprüft werden muss, ob sich im Erdreich nicht noch Blindgänger aus dem zweiten Weltkrieg befinden.

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